Glarnerziger

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Anno 512 n.Chr. , während der Herrschaftszeit des fränkischen Merowingerkönigs Chlodwig II, gründete der höchstwahrscheinlich bretonische Wandermönch und Verbreiter der Dreifaltigkeitslehre des Hl. Hilarius, Fridolin, nach jahrzehntelanger Wanderschaft und Missionstätigkeit von den Vogesen bis nach Rätien auf der gleichnamigen Rheininsel das Frauenkloster Säckingen.

Dieses gelangte innerhalb weniger Jahrzehnte zu grosser Blüte. König Ludwig II, der Enkel Karl des Grossen und Erbe dessen östlichen Teilreiches, schenkte später im Jahre 843 die Klöster Säckingen und Fraumünster Zürich seiner Stiefschwester, Cousine und zeitweiliger Ehefrau Riccarda und setzte sie als Aebtsissin ein. Laut Stiftungsurkunde ergänzten „grosse Ländereien und Alpweiden an Linth und Reuss“ diese Schenkung. Obwohl nicht namentlich erwähnt, aber nach verschiedenen Aufzeichnungen mehr als nur wahrscheinlich, dürften auf diese Weise grosse Teile des Glarnerlandes an das Kloster Säckingen und Uri’s an das Fraumünsterkloster Zürich gelangt sein.

Diese Herrschaft des Klosters Säckingen über seine Gebiete im Glarnerland dauerte bis 1395, also über 500 Jahre, und brachte dem „Land Glarus“ neben den Landespatronen St. Fridolin und St. Hilarius auch den ganz speziellen grünlichen Glarner-Schabziger.

 

Milch aus saftigem Alpengras

 

Der weisse Rohziger ist im Prinzip das „Abfallprodukt eines Abfallproduktes“ und wird in verschiedenen Formen seit altersher im ganzen Alpengebiet zwischen Savoyen und den Karawanken gewonnen und verarbeitet. Genauer gesagt überall dort, wo einst die Römer herrschten.

Bekanntlich gelten die Römer als Erfinder von Käse und Butter, und das hatte ursprünglich nicht kulinarische, sondern militärische Gründe. Die römischen Legionen mussten auf ihren monatelangen, weiten Kriegszügen, die vielfach auch durch unwirtliche Gebirgs- und Wüstenregionen führten, selbstverständlich auch mit kraft- und energiespendender Nahrung versorgt werden und schon seit der Zeit der ersten Hochkulturen genoss diesbezüglich die Milch als ideale Ergänzung zu Fleisch und Getreideeinen hervorragenden Ruf. Sie lieferte die wichtigen Spurenelemente Calcium und Magnesium und die gesamte Palette der Mineralstoffe.

Ihr Nachteil war allerdings, dass sie in ihrer natürlichen, flüssigen Form nicht lange haltbar war und in den benötigten grossen Mengen für Tausende von Männern mit den damaligen Mitteln auch nicht transportiert werden konnte. Das Mitführen von grossen Viehherden wiederum war vielfach ebenfalls unmöglich und widersprach der Kriegsstrategie der Römer, die in erster Linie auf der schnellen Ueberraschungsbewegung basierte. Dank ihrer Kenntnisse über chemisch-physikalische Prozesse fanden sie schliesslich mit dem Käse und der Butter jene Formen der Milch, die sowohl das Haltbarkeits- als auch das Transportproblem lösten.

Ob die Römer auch schon den Ziger kannten, ist nicht gesichert. Diesen gewinnt man auf alle Fälle aus der fettlosen oder „entrahmten Magermilch“, die nach der Herstellung von Butter zurückbleibt. Solche frische, entrahmte Magermilch wird auf 90 Grad Celsius erhitzt. Langsam wird dann eine Milchsäurekultur,Etscher genannt, eingerührt. Die Magermilch scheidet sich darauf in den Ziger mit dem gesamtenProteingehalt und in die sogenannte „Schotte“, dem Milchserum, das schliesslich als Grundelement für Getränke wie das bekannte „Rivella“ verwendet wird.

 

Die gewonnene Zigermasse wird in flache Holzbehälter, „Gebsen“ abgefüllt, wo sie

auskühlt und dabei weitere „Schotte“ ablässt.

In verschiedenen Regionen wird diese Zigermasse gleich in einem Tuch ausgepresst. Dabei entsteht magerer, nahezu geruchloser „Hüttenkäse“, der auf Glarner-Deutsch „Hudleziger“ genannt wird. (Kleineres Tuch = Hudle)

 

Der spezielle Glarner Ziger hingegen kommt aus den Gebsen in einen Gär-Behälter, in dem er während vier bis zwölf Wochen einen ersten Gärungsprozess durchläuft. Dieser Rohziger wird dann zerrieben, mit Salz vermischt und zur weiteren Reifung drei bis acht Monate lang in Silos eingelagert. Erst dann kommt der Zigerklee dazu, der dem Glarner Schabziger die hellgrüne Farbe und das unverkennbare Aroma verleiht.

 

Kräutlein aus 1000 und 1 Nacht

 

Das sogenannte „Zigerkraut“ gehört in die botanische Familie „Blauklee“ und stammt ursprünglich aus dem mesopotamischen Zweistromland (dem heutigen Irak). Es trägt den lateinischen Namen „Trigonellacaerulea“. Wie es aus dem Orient in den Klostergarten von Säckingen kam, liegt weitgehend im Dunkeln der Geschichte. Lange Zeit wurde allen Ernstes behauptet und geschrieben, die Kreuzritter hätten es nach Europa gebracht. Das kann aber nicht stimmen, weil die berühmte Mystikerin, Schrifstellerin, Komponistin, Naturkennerin, Heilerin und Aebtissin Hildegard von Bingen das Kräutlein schon beschrieb, als der 1. Kreuzzug noch im Gange war.

Im übrigen ist nicht unbedingt anzunehmen, dass die „frumben Ritter“ von Palästina aus Ausflüge in das Zweistromland unternahmen, um dort auf die Suche nach aromatischen Kräutern zu gehen. Sie hatten bei der Eroberung des „heiligen Grabes“ und dessen Verteidigung weiss Gott genug zu tun. Genützt hat es bekanntlicherweise nichts. Sie wurden, wie man weiss, schlussendlich von Saladin und den Seinen ziemlich unsanft wieder aus dem heiligen Land hinausgejagt.

 

Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Araber dieses Kräutlein, dem sie verschiedene lobenswerte Wirkungen nachsagten, um 750-800 bei ihrem Vorstoss nach Westen selber mitgebracht und es zuerst in Süditalien und Spanien bekannt gemacht hatten. Schliesslich waren es auch diese Sarazenen und Mauren, welche in Salerno die erste Universität auf westeuropäischem Boden gründeten , denn sie waren zu jenen Zeiten unseren europäischen Vorfahren in geistigen Dingen haushoch überlegen. Sie hatten ihr eigenes jahrtausendealtes Wissen und das gesamte kulturelle Erbe der Griechen und Römer beibehalten und weiterentwickelt, während bei uns der grösste Teil davon in den Wirren der Völkerwanderungen flöten gegangen und lediglich in ein paar Klöstern konserviert geblieben war. Für Europa erwies sich die Nachbarschaft mit den Söhnen Mohammeds deshalb in mathematischer, physikalischer, astronomischer, medizinischer und kulinarischer Beziehung als äusserst fruchtbar und wertvoll. Sie brachte uns unter anderem unsere Zahlen inklusive der Null und damit das Dezimalsystem; ausserdem nützliche Dinge wie den Kompass und neben den meisten heute bekannten Gewürzen endlich auch anständige Tischmanieren, denn zuvor pflegte man hierzulande in den besseren Adelskreisen mitten zwischen ausgestopften ehemaligen Feinden zu speisen und fand es ein neckisches Spielchen, sich bei der Tafel gegenseitig mit Speisen zu bewerfen oder einander mit Wildkeulen und dergleichen auf die Köpfe zu schlagen.

 

Im Klostergarten

 

Es liegt nahe, dass die Klosterfrauen von Säckingen über Hildegard von Bingen von der Heilwirkung des fremdländischen Blauklees Kenntnis bekamen. Weil es da hiess, dass dieses Trigonella caerulea dasDenkvermögen erweitere, das Blut reinige und die Verdauung fördere, fand es sich auch schon bald unter den Gewächsen ihres Klostergartens. Nach der Ernte zerrieben die Klosterfrauen die grünen Blätter zu Pulver, brauten daraus Tee oder mischten es dann unter den Roh-Ziger, den die Glarner alljährlich als Teil des Zehnten dem Kloster abzuliefern hatten.. Dass sie diese Mischprozedur 200 Jahre lang beibehielten, lässt vermuten, dass das Kräutlein die von Hildegard von Bingen beschriebenen Wirkungen bestätigte oder gar noch übertraf. Verbunden mit dem Ziger, der zu 35 % aus Proteinen besteht und alle wichtige Mineralstoffe, aber andrerseits nicht einmal 0,5 % Fett enthält, brachte das neue Produkt eine willkommene und erst noch gesunde Abwechslung zum damals praktisch einzigen „gängigen“ Gewürz, nämlich dem Salz. Ausserdem war diese hellgrüne Neuerfindung auch sehr lange haltbar , was in jenen noch kühlschranklosen Zeiten besonders geschätzt gewesen sein dürfte.

Richi Bertini